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W wie Winnipeg oder Whiteout

Meine erste Begegnung mit Winnipeg: der kalte Wind, der mir entgegen bläst als wir gegen sechs Uhr morgens den Bahnhof verlassen. Müde ziehe ich meine Kapuze tief ins Gesicht. Die majestätische Bahnhofshalle menschenleer, ein paar Autos auf der Straße, vereinzelte Fußgänger. Die Stadt muss noch wach werden, so wie wir. Ein warmes Frühstück soll nach der langen Zugfahrt unsere Lebensgeister wecken. Der nächste Coffee Shop ist unser. Am Nachbartisch sitzen drei Polizisten. Ob sie von der Nachtschicht kommen? Wenn ja, scheint es eine ruhige gewesen zu sein, alle sind bester Laune. Ich gähne in meine Kaffeetasse.

Go Jets, Go

Zwei Tage lassen wir uns durch die Stadt treiben. Winnipeg ist entspannt und wir sind es auch. Kein Verkehrschaos auf den Straßen, die Stadt ist sauber und hell. Okay, ganz entspannt ist Winnipeg dann doch nicht. Man ist im Eishockey-Fieber, denn die Winnipeg Jets spielen um den Einzug ins Halbfinale der Playoffs. Die unzähligen Fahnen, Leuchtreklamen und selbst gemachten Plakate sind nicht zu übersehen. Ob Bürogebäude, Kindergarten, Behörde, überall lesen wir „Go Jets, Go“.
Eishockey Winnipeg Jets
© Copyright Silke Rameken 2020
Mehrfach lesen wir das Wort whiteout“. Whiteout im Mai? Was hat das mit den Jets zu tun? Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Whiteout ist der Dresscode für Heimspiele. Der wahre Jets-Fan trägt dann weiß. Gut, dass das nächste Spiel ist ein Auswärtsspiel ist. Bei weiß hätten sowohl mein Mann als auch ich passen müssen.

Winnipeg im Wandel

Unseren morgendlichen Kaffee trinken wir im Exchange District. Wir sitzen im ehemaligen Pumpenhaus. Hohe Decken, hohe Fenster, freigelegtes Mauerwerk und Blick auf den Red River. Das Viertel entstand zwischen 1880 und 1913. Boomtown Winnipeg war damals das Zentrum für Getreide-, Großhandel und Finanzwesen. Heute haben Restaurants, Boutiquen, Galerien und Museen die Industriebauten okkupiert und so für die Nachwelt erhalten.
Deutlich älter ist das Viertel The Forks am Zusammenfluss von Red River und Assiniboine River. Hier hat man sich schon vor über 6000 Jahren getroffen und Handel betrieben. Mitte des 18. Jahrhunderts trafen hier die ersten europäischen Siedler ein. Heute locken Museen, Restaurants und Grünflächen über vier Millionen Besucher pro Jahr an.
Winnipeg
© Copyright Silke Rameken 2021
Wir umrunden mehrmals das neue Kanadische Museum für Menschenrechte. Ein eigenwilliger Bau, der nicht zu übersehen ist. Geschwungene Formen aus Glas in Verbindung mit kantigem Beton, ein Glasturm in der Mitte des Gebäudes. Auf mich wirkt die Architektur verschlossen, als wolle sie das in ihr liegende nicht preisgeben.

Melting Pot Winnipeg

Wir überqueren die futuristische Fußgängerbrücke Esplanade Riel und betreten den Stadtteil St. Boniface. Am Fenster einer Konditorei drücken wir uns die Nase platt. In der Auslage liegen Köstlichkeiten wie Eclairs, Macarons und Millefeuilles. Im Buchladen um die Ecke unterhält sich der Besitzer in Französisch mit uns. Seit unserer Ankunft in Toronto haben wir nur Englisch gesprochen, gelesen. Um so überraschter sind wir jetzt über Winnipegs frankophones Viertel.
Wir wollen zur „Mother Church of Western Canada“, zur Saint-Boniface Kathedrale. Die Kathedrale, die schon mehrfach abgebrannt, abgerissen und wieder aufgebaut wurde. Das riesige Portal lässt uns staunen. 1972 wurde das aktuelle Gotteshaus eingeweiht, eine Verschmelzung aus historischen Fassaden, Mauern und einem schlichten Neubau, den wir erst beim zweiten Hinsehen entdecken.

Winnipeg Saint-Boniface Kathedrale
© Copyright Silke Rameken 2020
Auf dem Friedhof liegt Louis Riel (1844 – 1885) begraben, Namensgeber für die futuristische Brücke. Manche hielten Riel für einen Geisteskranken, für die anderen war er ein Held im Kampf um die Rechte der Métis. Die Vorfahren der heutigen Métis waren die Kinder indianischer Frauen und europäischer Einwanderer.

Raus aus der Stadt

Egal in welche Richtung wir Winnipeg mit dem Auto verlassen, wir sehen endlose Getreidefelder. Alle Viertelstunde ein paar Getreidesilos, vielleicht ein Wohnhaus. Eine Farm erstreckt sich hier über viele Kilometer. Die meisten Autos, die uns begegnen, sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Verlässt man den Highway, gibt es nur noch Schotterpisten und jede Menge Staub.

Winnipeg Umland
© Copyright Silke Rameken 2020
Die Straßen, leicht gewellt, laufen schnurgerade bis zum Horizont. Als ich das erste „Achtung Kurve“ Schild auf freier Strecke sehe, schüttele ich nur den Kopf. Was für ein Unsinn! Aber schon bald werde ich eines besseren belehrt. Nach zwanzig Kilometern geradeaus fahren eine leichte Kurve, gut einsehbar auf freier Strecke. Ich erlebe eine Sekunde des Schreckens: Wie war das mit dem Lenken?

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Unterwegs mit dem Canadian: Warten auf ...

Die Panorama Lounge der Toronto Union Station platzt aus allen Nähten. Wer jetzt noch kommt, muss auf einer der Fensterbänke oder auf dem Boden sitzen. Zwischen all den Reisenden schwirrt ein VIA Rail Mitarbeiter umher. Er redet auf die Leute ein und verteilt kleine, gelbe Märkchen. Irgendwann steht er vor uns. Er erklärt uns etwas von rollierenden Essenszeiten, dass jeder Mal früher oder später essen gehen müsse. Fairness geht in Kanada vor, auch bei den Mahlzeiten! Das Essen scheint also gesichert zu sein. Leider weiß niemand, wann der Zug abfährt. Eigentlich hätte es gestern Abend schon losgehen sollen, aber es gab Probleme auf der Strecke, so die Information von VIA Rail. Wir stecken unsere Essensmarken ein, machen es uns in unseren Sesseln wieder bequem und warten. Es ist für mich nicht ersichtlich wieso, aber es kommt Bewegung in die Menge. Wir folgen der Masse Richtung Untergeschoss. Vor dem Aufgang zum Bahnsteig gibt es für jeden ein Lunchpaket und eine Wasserflasche. Irritier

Ich habe noch Sand in den Schuhen

Die geraden Straßen Manitobas lullen ein. Irgendwann dämmert es mir, dass wir den Abzweig zum Highway 5 verpasst haben müssen. Ich schalte unser Navigationsgerät ein. Ja, wir sind zu weit gefahren und müssen wenden. Unser Ziel ist der Spruce Woods Provincial Park , eine Empfehlung der Touristeninformation Winnipeg . Im Park könne man Sanddünen erklimmen, hatte man uns erzählt. Es ist Vorsaison, der Campingplatz fast menschenleer und wir haben die Qual der Wahl. Wo wollen wir unser Zelt aufschlagen? Wir entscheiden uns für eine Parzelle mit Blick aufs Wasser. Unsere einzigen Nachbarn zwei Kanadagänse. ©Copyright Silke Rameken 2021 Spirit Sands und Devils Punch Bowl Die Spirit Sands seien keine Wüste, steht auf einer Hinweistafel. Es gäbe hier zu viel Feuchtigkeit. Ich sehe nur Dünen und ein paar Büsche. Es ist heiß, nur die vor uns liegende Hütte bietet Schatten und meine Schuhe sind voller Sand. Das ist also keine Wüste? Vor 15.000 Jahren war eine Fläche größer als der Regierungs

Hinterm nächsten Hügel links

Sind wir in eine Geisterstadt geraten? Kreuz und quer fahren wir durch Gravelbourg, aber niemand ist zu sehen. Obwohl verboten, umrunden wir die Verkehrsinsel vor der Kathedrale. Aber auch das lockt niemand auf die Straße. Vor dem Lebensmittelgeschäft ebenfalls gähnende Leere. Das macht aber Sinn, denn das Geschäft ist geschlossen. Dumm nur für uns, denn hier wollten wir unsere Vorräte auffüllen. Wir betreten einen trostlosen und menschenleeren Subway. Scheinbar der einzig geöffnete Laden weit und breit. Wahllos bestelle ich etwas und setze mich an einen Tisch. Jemand betritt den Fast-Food-Laden. Ihm werden noch einige andere folgen. Es gibt also doch Menschen in Gravelbourg, was uns irgendwie beruhigt. Aber keiner von ihnen will bleiben. Alle parken nahe der Eingangstür, kommen rein, bestellen, nehmen ihr Essen und gehen wieder. Ich kann sie gut verstehen. Im Auto werfen wir einen Blick auf die Tankanzeige. Haben wir wenigstens genügend Sprit? Zum Glück ja, denn eine Tankstelle gibt